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Ertrunkene vor Libyens Küste "Ich fühle Wut und Hilflosigkeit"

Seenotretter haben auf einem zerstörten Schlauchboot eine Frau und zwei Leichen gefunden. Libyens Küstenwache soll sie im Mittelmeer zurückgelassen haben. Die Helfer sprechen von kriminellen Zuständen.
Überlebende Frau bei ihrer Rettung

Überlebende Frau bei ihrer Rettung

Foto: Pau Barrena / AFP

Die Nichtregierungsorganisation Proactiva Open Arms prangert einen schweren Verstoß gegen die Pflicht zur Seenotrettung im Mittelmeer an. Den Flüchtlingshelfern zufolge hat die libysche Küstenwache in internationalen Gewässern zwei Frauen und ein Kind auf einem Schlauchboot im Stich gelassen. Eine Frau und das Kind seien verstorben.

Der spanische NBA-Spieler Marc Gasol wurde laut eigener Aussage Zeuge, wie die zweite Frau gerettet wurde. Gasol ist mit dem Gründer von Proactiva Open Arms befreundet. Der Basketballer war bei dem Einsatz der Seenotretter dabei und sagte der spanischen Zeitung "El País",  dass Open Arms ein Gespräch zwischen einem libyschen Patrouillenboot und einem Handelsschiff namens "Triades" mitgehört habe.

Das Patrouillenboot soll demnach Schiffbrüchige nach Libyen zurückgebracht und zuvor das Boot zerstört haben, in dem die Migranten zwei Tage und zwei Nächte verbracht hatten. Allerdings hätten die Libyer mindestens drei Personen in dem Wrack zurückgelassen.

Das Open-Arms-Schiff "Astral"

Das Open-Arms-Schiff "Astral"

Foto: PAU BARRENA/ AFP

Open Arms habe mit seinem Schiff "Astral" am frühen Morgen ein halb versenktes Schlauchboot entdeckt: "Anfangs dachten wir, es sei niemand mehr am Leben. Aber als wir näher kamen, haben wir eine Frau gesehen. Sie klammerte sich mit einer Hand an ein Stück Holz, das gerade mal einen halben Meter lang war." Die Überlebende stamme laut eigener Aussage aus Kamerun. Ihr Name sei Josephine.

Außer ihr habe man die Leichen einer Frau und eines kleinen Kindes gefunden. Gasol, der zwei Kinder hat, zeigte sich erschüttert: "Du siehst diesen toten Menschen und weißt, dass er einmal das Zentrum der Welt in irgendjemandes Leben war. Und jetzt ist er weg."

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Der Sportler nannte den derzeitigen Umgang mit Flüchtlingen im Mittelmeer "unmenschlich und kriminell". Die Situation der Retter, der Mangel an Menschlichkeit und die Verachtung für die humanitären Helfer seien frustrierend, sagte Gasol. "Ich fühle Wut und Hilflosigkeit. Die Menschen müssen gerettet werden." Von Open Arms hieß es, jeder Tote sei eine direkte Folge der Weigerung der italienischen Regierung, Flüchtlinge aufzunehmen.

Mitglieder der spanischen NGO Proactiva Open Arms bergen die Leiche eines Flüchtlingskindes

Mitglieder der spanischen NGO Proactiva Open Arms bergen die Leiche eines Flüchtlingskindes

Foto: PAU BARRENA/ AFP

Italiens neue Populisten-Regierung fährt seit Wochen einen harten Kurs in der Flüchtlingspolitik. Im laufenden Jahr sind etwa 80 Prozent weniger Flüchtlinge angekommen als in den ersten sieben Monaten 2017. Insgesamt sind bis Mitte Juli knapp 51.000 Menschen übers Mittelmeer nach Europa gekommen.

"Die Situation ist dramatisch", sagte Claus-Peter Reisch, der Kapitän des Seenotretters "Lifeline", dem Deutschlandfunk . Derzeit seien nur die zwei spanischen Schiffe "Open Arms" und "Astral" zur Flüchtlingsrettung unterwegs. "Es werden aber dringend weitere Schiffe dort gebraucht. Gestorben wird reichlich."

Reisch muss sich in Malta vor Gericht verantworten - offiziell, weil sein Schiff nicht ordnungsgemäß registriert gewesen sein soll. Inoffiziell wirft man ihm vor, sich bei der Rettung von Flüchtlingen behördlichen Anweisungen widersetzt zu haben. Die "Lifeline" hatte vor etwa drei Wochen 234 Flüchtlinge vor der libyschen Küste gerettet. Weil Italien und Malta ein Anlegen verweigerten, kreuzte das Schiff tagelang im Mittelmeer. Schließlich durfte es doch in Malta anlegen, wurde aber dort von den Behörden beschlagnahmt.

Reisch geht im aktuellen Rettungsfall davon aus, dass sich die zwei Frauen weigerten, das libysche Boot zu besteigen und zurück nach Libyen gebracht zu werden. "Wenn man weiß, was in Libyen passiert, in diesen Lagern, dann kann man das auch gut verstehen." Libyen sei ein "extrem gefährliches, unsicheres Land". Dennoch dürfe niemand zurückgelassen werden: "So was ist einfach Mord."

Laut Reisch gehen die Todeszahlen derzeit "raketenartig nach oben". Diesen Monat seien es bereits mehr als 700 Tote. "Der Juli wird als der tödlichste Monat in die Geschichte der Seenotrettung vor der libyschen Küste eingehen."

Flucht übers Mittelmeer - Unterwegs mit libyschen Sicherheitskräften

SPIEGEL TV
ala